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Katze in der leeren Wohnung

Gedicht von Wislawa Szymborska (1923 – 2012)

Zur Skulptur

Die Figur zeigt eine Katze, die in einer verlassenen Wohnung auf ihren Besitzer wartet. Sie weiss nicht, dass er gestorben ist. Wartend stellt sie sich vor, wie sie dem rückkehrenden Besitzer begegnen will: Beleidigt, stolz und ohne Anzeichen von Freude will sie ihm zeigen, dass man einer Katze so etwas nicht antun darf. Diese Haltung will die Skulptur zum Ausdruck bringen. Das Gedicht der polnischen Lyrikerin Wislawa Szymborska fand vor allem nach der Verleihung des Literaturnobelpreises an sie (1996) in zahlreichen Übersetzungen internationale Beachtung. In Polen wurde es zu einem ihrer populärsten Gedichte. Gemeint ist, dass man auch einem geliebten Menschen den Tod nicht „antun“ sollte.

Katze in der leeren Wohnung

Sterben – das tut man einer Katze nicht an,

Denn was soll die Katze

in einer leeren Wohnung.

An den Wänden hoch,

sich an Möbeln reiben.

Nichts scheint sich hier verändert zu haben,

und doch ist alles anders.

Nichts verstellt, so scheint es,

und doch alles verschoben.

Am Abend brennt die Lampe nicht mehr.

Auf der Treppe sind Schritte zu hören,

aber nicht die.

Die Hand, die den Fisch auf den Teller legt,

ist auch nicht die, die es früher tat.

Hier beginnt etwas nicht

zur gewohnten Zeit.

Etwas findet nicht statt,

wie es sich gehört hätte.

Jemand war hier und war,

dann verschwand er plötzlich

und ist beharrlich nicht da.

Alle Schränke durchforscht.

Alle Regale durchlaufen.

Unter Teppichen geprüft.

Trotz des Verbots
die Papiere durchstöbert.

Was bleibt da noch zu tun.

Schlafen und warten.

Komme er nur,

zeige er sich.

Er wird´s schon erfahren.

Einer Katze tut man sowas nicht an.

Sie wird ihm entgegenstolzieren,

so, als wollte sie´s nicht,

sehr langsam,

auf äußerst beleidigten Pfoten.

Noch ohne Sprung, ohne Miau.


Werkangabe

  • Wislawa Szymborska: Katze in der leeren Wohnung. In: Wislawa Szymborska: Die Gedichte. Herausgegeben und übertragen von Karl Dedecius. Suhrkamp, Frankfurt a. Main 1997
    ISBN 3-518-40881-X, S. 284-285